Spiegelverkehr

"Man sagt, daß Sie und Fräulein Nuschke in letzter Zeit einige Differenzen hatten."

"Äh, wie bitte, was haben Sie gesagt?" Hubert war in Gedanken versunken.

Der Beamte seufzte. "Wie Sie möchten, Herr Wormsfeld."

Dann, zu seinen Kollegen: "Wir setzen die Befragung morgen fort."

Als die Beamten ihn durch die langen Korridore des Polizeireviers in seine Zelle brachten, versuchte Hubert, sich die Vorgänge der letzten 24 Stunden ins Gedächtnis zu rufen. Nicole hatte sich über das Lokal lustig gemacht, in das er sie eingeladen hatte. Später, in der Wohnung, rupfte sie Blütenblätter von seiner Immergrün-Zimmerpflanze. Er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich, er liebt mich nicht. Laut genug, daß er es bis in die Küche hören konnte. Als er schließlich mit den Weingläsern in der Hand das Wohnzimmer betrat, warf sie ihm eine Handvoll Blütenblätter ins Gesicht. Die Topfpflanze stand kahl.

Foto: Michael Bruchner
Ja, wir haben gestritten, hörte er sich zu dem Beamten sagen. Ja, ich habe ihr das Messer zum Geburtstag geschenkt.

Hubert malte sich die Zelle aus, in die sie ihn führten. Er dachte an Derrick, an Linoleumboden und schlecht geputzte, weißvergitterte Fenster. Apathisch ließ er sich von den Beamten durch die Gänge stoßen.

Und wie sie seinen Namen aussprach: Hu-bert. Sie spitzte die Lippen zu einem spöttischen Huu, das klang, als ob sie eine Kerze ausblasen wollte. Und dann folgte dieses langgezogene B-E-R-T.

Gegen ein Uhr nachts hatte er sie rausgeschmissen und war zu Bett gegangen, das heißt, zuvor ist er noch auf den Balkon und hat beobachtet, wie sie in ihren Renault stieg und die Straße hinunterfuhr.

Später, im Badezimmer, fand er seinen Namen in violetten Lippenstiftlettern auf den Spiegel geschrieben:HUBERT. Er hatte die Schrift mit seinem weißen Hemdsärmel abgewischt.

War das Ganze nur ein böser Traum? Er blickte auf seinen Ärmel: der Fleck existierte.

Weiter (Teil 2)


> Home | > Zur Tür | > Kabbarest | > Textilien | > Friends | > Essay | > Über die Texte | > Feedback