Der Dicke

Am Odeonsplatz bin ich eingestiegen und mit mir ein Dicker, der sich an mir vorbeischob und hastig auf die Sitzbank fallen ließ, so daß der im Lodenmantel, der am Fenster saß, ein bißchen hochhopste und sich empört räusperte. Der Dicke wischte sich erst mal den Schweiß von der Stirn. Er schwitzte ganz furchtbar und war wohl auch sehr außer Atem, jedenfalls schnaufte er, als ob er gerannt wäre, um die U-Bahn noch zu erwischen. Aber so ein Dicker muß gar nicht rennen, es reicht schon, daß er von der Rolltreppe auf den Bahnsteig tritt und er hat keine Puste mehr, und der hier war wohl so einer. Die wenigen hellbraunen Strähnen auf seinem Kopf waren ganz verklebt. Im rechten Mundwinkel hing ihm noch ein Stückchen Käse, und ich schloß daraus, daß er wohl gerade ein Käsebrot gegessen hatte.

Das war das erste Mal, daß mir auffiel, daß der Dicke sich gar nicht wohlfühlte. Auch seine Augen waren recht glasig. Inzwischen hatte er mit der wilden Schnauferei aufgehört und sein Gesicht war jetzt gar nicht mehr so rötlich. Seine beinahe quadratischen Hände klopften nun mechanisch gegen die karierten Hemdtaschen, aber offenbar fanden sie dort nichts, weil sie doch immer weiter tasteten, bis der Dicke wieder außer Atem war und verschnaufen mußte. Das Hemd war nach unten hin viel zu lang, weil er wegen seines Bauchumfangs so eine Übergröße nehmen mußte, und deshalb hatte er es in die Hose gestopft, was auch keine gute Lösung war, weil man sehen konnte, daß unter dem Gürtel ein ganzer Wust von verkruscheltem Hemd steckte. Nun blickte ich an seinen prall gefüllten Hosenbeinen hinunter, um nachzusehen, ob die Hose vielleicht auch zu lang war und ob er sie dann wohl in den Schuh stopfte oder doch eher aufkrempelte. Doch ich kam gar nicht so weit, da der Dicke ganz unvermutet laut rülpste. Nun war sein Gesicht eher scheiblettengelblich. Ob er schlecht gegessen hatte? Der im Lodenmantel öffnete das Fenster. Schließlich kam ich aber doch zu dem Schluß, daß es noch einen weiteren Grund geben mußte, warum der Dicke so unruhig war. Er stand unter einem seltsamen Druck und fing jetzt schon wieder an, mit den Händen seine Taschen abzuklopfen. Ich war ganz froh, daß das Fenster geöffnet war, da das Schwitzen des Dicken jetzt doch zunehmend unangenehm wurde.

Weiter (Teil 2)


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