Anything goes- was solls dann noch?

First Manifesto

1. Warum soll man heute nackt über die Straße laufen, wenn sich dann nicht mal einer umdreht? (Und einen Schnupfen kann man sich außerdem dabei holen.)

Die Blauen Ohren: Malte Strohm, Michael Bruchner, Jonny Rieder
Warum soll man heute versuchen, etwas Neues zu präsentieren, wenn einem doch nur erzählt wird, an was es erinnert?

Warum soll man sich um Qualität bemühen, während überall das gewollte Schlecht-Sein Kultstatus erreicht? Der Instant-Culture-Trend, der mit den Western-Parodien des Terence Hill begann, setzte sich mit den Leningrad Cowboys fort, um endlich im Mühlheim-an-der-Ruhr--Mythos eines Helge Schneider seinen vorläufigen Höhepunkt zu finden.

Alles geht- am liebsten in die Hose.

2. Haben Sie eine ABBA-Platte? Zeigen Sie sie nur. Ist stilistisch deutlich korrekt. Wer versucht, Ihnen die Peinlichkeit Ihres Musikgeschmacks vorzuhalten, pinkelt nämlich gegen den Wind: Der einfache Satz: "Das ist doch Kult" wird ihn problemlos widerlegen. Wie entsteht also Kult? Wer ihn als erstes benennt und souverän vermittelt, hat das Pokerspiel um dieses Element des Kult-Wertesystems gewonnen.

Wenn ein Schirmchen Ihrer Pusteblume auf fruchtbaren Boden fällt, haben Sie damit sogar geholfen, einen neuen Trend zu kreieren. Wird die Kulthaftigkeit Ihres Idol-Objektes verkannt, genügt ein Griff in die Kloschüssel des Outingvokabulars: Spießer, Bürger, Peripherinski. Wenn jemand einen eventuellen Kultstatus nicht erkennt, so steht nicht nur sein Urteil im Off, sondern er katapultiert vor allem sich selbst zurück in die Peripherie, die er gerade verlassen wollte. Niemand weiß, wer oder wo der Kern ist. Wir spüren nur, wie wir täglich aufs Neue verstoßen werden- wieder sind wir nur auf der Umlaufbahn. Der Mensch ist dem Menschen eine Zentrifuge. Bezugssysteme sind immer relativ.

Fazit: Wer den anderen nach außen drängt, kann sich selbst dem Kern näher fühlen.

3. Ja, auch wir spielen auf der Klaviatur des Vorhandenen. Aber wir sind uns dessen bewußt.

Wir kennen unsere Heroes noch aus erster Hand. Und bemühen uns um ein unabhängiges Zusatzsystem. Am Ende soll eigenes (ent)stehen.

4. Für heute ist die kulturelle Saalschlacht beendet. Wenn Sie nun daheim vor dem gedanklichen Abwasch stehen, wird sich zeigen, ob unsere Bemühungen Erfolg hatten. Wenn wir versagt haben, wird der imaginäre Teller, auf dem wir unsere Gedanken dargereicht haben, mit den Speiseresten in den Abfluß gurgeln. Wenn aber irgendetwas bleibt, das Sie in Ihren Postmoderne-Gedankenschrank stellen können, ging diese Runde an uns.

5. Die Blauen Ohren sind Kult.

Benediktbeuern, den 1. März 94


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