Südstadt Grill

Gerade schien der Regen etwas nachzulassen, als die Tür des Imbiß' aufgerissen wurde und eine Schattengestalt hereinhuschte. Völlig außer Atem stand das Mädchen vor ihm. War es Schweiß oder Regen, der das graue Hemd an ihre schmale Brust drückte? Hastig strich sie sich eine Strähne aus dem geröteten Auge.

,,Sie wünschen?" fragte Dimitri.

Das Mädchen hatte er hier noch nie gesehen. Er spürte den Regenduft des heißen Sommerpflasters, das sie mit in den Laden gebracht hatte.

Geistesabwesend starrte sie auf die Auslage mit den Vorspeisen.

,,Bitte?" wiederholte er seine Frage.

Das Mädchen sah ihn an, unschlüssig. ,,Eine kleine Funghi", brachte sie schließlich hervor. ,,Und eine Cola."

Dimitri nickte. ,,Es dauert so zehn Minuten."

Sie legte ihren Tabak auf die Theke und begann sich eine Zigarette zu drehen. Kaum wagte Dimitri aufzusehen, wie ihre langen Finger das Kraut in das Paper drückten, das Ganze vorsichtig rollten, und schließlich ihre Zungenspitze über den glänzenden Falz leckte. Nur schwer konnte er sich darauf konzentrieren, den Hefeteig in die Pfannenform zu kneten.

Maria, seine Frau, kam aus dem Nebenraum und wischte sich die Finger an ihrer Schürze ab. ,,Wieviele Schachteln hast du in den Automaten gesteckt? Ich glaube, da fehlen zwei."

"Äh, was sagst du?"

Dimitri hatte nicht zugehört. Als er aufsah, streifte sein Blick wieder das Mädchen. Sie trat von einem Bein auf das andere.

Maria öffnete ein Fach neben der Theke und entdeckte dort zwei Marlboro.

,,Schon gut, ich habe sie gefunden", rief sie über die Schulter und war schon wieder im Nebenraum verschwunden.

Dimitri schob die Pizza in den Ofen und drehte das Radio lauter. Als er sich umdrehte, sah er gerade noch, wie das Mädchen aus der Tür glitt, die sich lautlos hinter ihr schloß. Er wollte ihr etwas nachrufen, doch die Worte erstickten in seiner Kehle. Da war wieder der Regenduft von der Straße.

,,Was ist mit dir?"

Dimitri erschrak, als er Maria hinter sich spürte.

,,Ach, laß nur", antwortete er resigniert. ,,Ich bin nur ein bißchen müde."

Er sah in den Spiegel über der Theke. Sein Gesicht hatte im Laufe der Jahre die Farbe des Bratenfetts angenommen. Vielleicht war er es selbst, der da an dem Gyrosspieß hing und sich um sich selbst drehte.

Die Straße war leer, nur ein paar Kinder fuhren auf ihren Rädern durch den Nieselregen. Auf der anderen Straßenseite ging ein Pärchen. Der Junge mußte seiner Freundin die Jacke geliehen haben, sie war auf jeden Fall viel zu groß für sie.

,,Hat das Mädchen von vorhin schon bezahlt?" fragte Maria.

,,Nein."

Dimitri blickte auf die Uhr, gleich würde er die Pizza aus dem Ofen holen.

Die Ladentüre öffnete sich, das Pärchen.

,,Zweimal Gyros zum Mitnehmen", sagte der Junge.

Dimitri seufzte, nahm sein Elektromesser, säbelte ein paar Fetzen von dem tropfenden Fleischberg und schaufelte sie in die Pittabrote.

Er sah wieder auf die Straße hinaus. Ob das Mädchen wiederkommen würde?

Seine Frau plauderte inzwischen mit der Kundschaft: ,,Ja, das ist ein verrücktes Wetter, da kennt sich keiner mehr aus." Dimitri konnte gar nicht hinhören.

,,Auf Wiedersehen!" verabschiedete seine Frau die beiden, die schon mit dem Gyros beschäftigt waren.

,,Tschö!" rief der Typ noch, dann waren sie wieder allein im Laden. Allein mit sich und dem Surren des Drehspießes. Das Mädchen. Wo sie wohl hin ist?

,,Die Pizza müßte fertig sein."

Maria öffnete das Ofenfach und verbrannte sich wie immer die Finger am Blechgriff.

Als die Pizza schon fast kalt war, schnitt sich Dimitri eine Rippe heraus, aber schon nach dem ersten Bissen legte er sie wieder weg. Jetzt würde das Mädchen bestimmt nicht mehr kommen.

Bis zum Schließen um 23 Uhr kam überhaupt niemand mehr. Dimitri spürte die Enttäuschung seiner Frau und schwieg.
Er saß nur am Fenster, blickte auf die Straße, wartete.

August 1993


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