Ohne Titel

Als sie die silberne Aufzugskabine betrat, bereute sie bereits, daß sie mitgekommen war. Er drückte die "acht". Warum sagte er nichts? Statt dessen blickte er auf die Leuchtanzeige, sechs, sieben, acht, die Schiebetür öffnete sich, und er führte sie durch einen langen Gang, an dessen Ende seine Wohnung lag. Er zog einen klimpernden Schlüsselbund hervor und sperrte auf.

Die Wohnung war, wie sie alle waren. Wenn man reinkommt, rechts die Kochnische, gegenüber die Tür zum Bad. Rechts hinten das Bett, daneben der CD-Ständer. Im Regal ein paar Bücher, auf dem Schreibtisch ein paar Zeitschriften, und an der Wand hinter Glas Poster mit Edward-Hopper-Motiven. Das Fenster war klein und viereckig.

,,Möchtest du etwas trinken?" fragte er.

,,Danke. Aber wo ist denn das Bad?"

,,Gleich hier links."

Sie schloß die Tür und sah sich um. Keine Badewanne, aber immerhin eine Dusche.

Als sie die Badezimmertüre wieder öffnete, sah sie ihn, wie er mit einem Glas Mineralwasser in der Hand an der Küchenzeile lehnte.

,,Ich muß auch noch mal rein."

Als er das Zimmer betrat, hatte sie sich bereits ausgezogen und zugedeckt. Sie schwiegen beide, als er seine Kleider ablegte. Er stützte sich auf den Ellenbogen und sah sie an. Dann griff er mit den Fingern in ihr Haar. Sie zog ihn an sich. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie die roten Ziffern des Radioweckers. 3.21 Uhr. Sie lag auf dem Rücken. Er küßte ihren Hals, ihren Mund, saugte an ihrem Ohrläppchen und flüsterte Komplimente.

Sie wagte nicht noch einmal auf den Radiowecker zu schauen, als er sich zur Seite rollte, das Kondom abstreifte, es entsorgen ging.

Er wusch sich am Küchenwaschbecken die Hände und überlegte einen Moment lang, Kaffeewasser aufzusetzen. Als er wieder auf dem Bett saß, bemerkte er, daß sie Tränen in den Augen hatte.

,,Was hast du?" fragte er.

Edward Hopper: Hotelzimmer, 1931
,,Nichts", sagte sie. ,,Ich bin nur glücklich."

Und er faßte ihre Schulter und wollte sie in den Arm nehmen. Doch als sie unbewegt dalag, sagte er nur: ,,Ich mag dich gern."

Am Morgen erwachte sie von dem Gefühl, angestarrt zu werden.

Er hatte wieder den Kopf auf den Ellenbogen gestützt und strich sich mit der anderen Hand eine Strähne aus dem Gesicht.

,,Soll ich Kaffee machen?" fragte er.

Sie schwieg, zog ihre Kleider aus dem kleinen Häufchen neben dem Bett. 9.25 Uhr. Sie wich seinem Blick aus.

,,Ich muß noch mal zur Uni", sagte sie.

,,Was machst du heute abend?"

,,Weiß noch nicht. Ich ruf dich an."

,,Hast du die Nummer?" fragte er.

Sie nickte.

Er ging, noch immer in Shorts, zur Tür, stellte sich davor.

,,Sehen wir uns heute abend?"

,,Ich sag dir doch, ich weiß noch nicht. Und jetzt laß mich durch."

Sie gab ihm einen flüchtigen Kuß auf den Wange, dann stand sie wieder in dem langen Gang und hörte, wie hinter ihr die Wohnungstür einrastete.

Jetzt kocht er seinen Kaffee, dachte sie, als sie die Treppen zum Erdgeschoß hinabstieg. Sie öffnete die schwere Glastüre und es war hell draußen und sie atmete die frische Märzluft.

Februar 1994


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